Sonntag, 14. Mai 2023

Letztes Jahr habe ich ein Arbeitsjournal zu meinem Fantasy-Roman Die Ruinen von Vinatur auf meiner Homepage geschrieben. Da ich die Seite umbauen werde, habe ich das Journal hierher migriert. Ihr könnt es direkt unter diesem Post lesen.

Kaufen könnt ihr das Buch für nur 3.99 € bei Amazon:

Die Ruinen von Vinatur

Dieser Blog ist damit beendet und bleibt im Netz als ewiges Archiv. Mein neuer Blog wird in wenigen Tagen auf meiner Homepage Premiere haben. 



12. April 2022 

Nur noch drei Wochen, dann ist es soweit. Mein Fantasyroman Die Ruinen von Vinatur wird als eBook bei Amazon erscheinen. Am 1. Mai - am Tag der Arbeit. Es ist mein bisher bestes Buch geworden. Rund 450 Seiten, die mich mehr als ein Jahr Arbeit gekostet haben.

Nun wird sich zeigen, ob der Roman, das Cover und die Werbekampagne etwas ausrichten wird.

Auch das Cover habe ich selbst gebastelt, zum einen, weil ich Design drei Jahre gelernt habe, zum anderen, weil ich endlich mal die volle Kontrolle über eine Veröffentlichung haben wollte.

Ob das eine gute Idee war, das wird sich zeigen.

Mein Ziel ist: 5000 verkaufte Exemplare. Ist das zu hoch gegriffen? Vermutlich. Andererseits, warum nicht? Der Roman ist gut geworden. Bei der Überarbeitung habe ich ihn gerne gelesen. Und wenn ich den Text schon gerne lese - ich, der ich schwer zufrieden zu stellen bin - wieso nicht auch andere?


13. April 2022

In den letzten Wochen habe ich die Vorgeschichte zweier Figuren aus dem Roman geschrieben, zweier Figuren, die mir sehr ans Herz gewachsen sind. Es ist eine rund 40 Seiten lange Story geworden, die zwei Jahre vor den Ereignissen der Ruinen von Vinatur spielt.

Tira, das Mädchen aus Silberaue, die so eine bedeutsame Rolle in Prinz Jaris Leben spielen wird, trifft auf den Zauberer Malek - auch er später schicksalshaft verwoben mit Jaris und Kallum.

Die Story hat den Titel Schattenschleicher - und ich versuche in ihr einen mehr impressionistischen Ton zu treffen. Letztlich soll sie die Sichtweise einer Neunjährigen auf eine gefährliche Welt darstellen, in der Ungeheuer die Norm sind, heißen sie Schattenschleicher oder Mutter.

Aber die Geschichte soll auch das Abenteuer der Kindheit einfangen, die Lichtstrahlen, die durch das Fenster fallen, den Wind, der durch die Zweige rauscht. Und das Abenteuer des Lesens, dem Tira verfallen ist ... so wie ich schon seit meiner Kindheit.

Ich habe die Geschichte mit großer Begeisterung geschrieben, aber diese Begeisterung war nicht der einzige Grund, weshalb ich mich an die Arbeit machte. Der Plan ist (so viele Pläne ... und so wenig Sicherheit, ob ich sie in die Realität werde umsetzen können) ... der Plan ist also, Schattenschleicher als Schlepper für den Roiman zu verwenden. Ich werde die Story zum Preis von 99 Cent anbieten, vielleicht auch kostenlos, so dass der Leser und die Leserin dazu verleitet werden, den Roman zu kaufen, nachdem sie hingerissen von der Kurzgeschichte waren.

Die Frage ist nur: werden sie hingerissen sein?

Und weil mir die Arbeit an Schattenschleicher so gefallen hat, möchte ich drei weitere Storys schreiben, bevor oder während ich den zweiten Roman in Angriff nehme (der den Arbeitstitel Die Ruinen von Albenmoor hat und an dessen Vorarbeiten ich schon sitze).

Zum einen jeweils die Vorgeschichten von Jaris und Malek, zum anderen eine Sammlung von Legenden, die in dem Grünen Buch der Erde niedergeschrieben sind. Aus diesem Buch wird im Roman und auch in der Kurzgeschichte zitiert und ich habe das Bedürfnis, diese Legendensammlung Wirklichkeit werden zu lassen, so dass sie auch im echten Leben am Kaminfeuer vorgelesen werden kann.


14. April 2022

Zur Zeit überarbeite und korrigiere ich das letzte Viertel des Romans. Mehr als ein Jahr nach Fertigstellung. Und es ist immer wieder verblüffend, wie viele Fehler und Ungenauigkeiten man noch findet. Ich hoffe, ich habe alle Bugs erwischt, die zwischen den Seiten rumkrabbelten. Was ich auch immer wieder bei meinen Manuskripten feststelle: je älter sie sind, je weiter entfernt, fast schon in Echo-weite, um so objektiver kann ich sie lesen und beurteilen. Das ist ein großer Vorteil, den ich jedem Schriftsteller empfehlen kann wahrzunehmen, aber es war in diesem Fall keine freiwillige Entscheidung, so vorzugehen.

Ich habe das Manuskript zahllosen Agenturen und späterhin einigen Verlagen angeboten. Das Interesse war bescheiden und das ist noch eine Übertreibung. Wäre ich nicht schon seit Jahrzehnten Schriftsteller, hätte mich das vermutlich völlig aus dem Konzept gebracht und noch immer nagt die Frage mit spitzen Zähnchen an meiner Seele (denn öch bön der Seelephant): was, wenn sie recht hatten, all die Experten, wie z.B. der Cheflektor von Fischer Tor, der den Roman mit sehr harschen Worten abtat?

Ich glaube, sie alle haben unrecht, ich glaube sie kennen ihr Publikum nicht. Wir werden es erfahren in knapp drei Wochen. Eigentlich schon früher, denn Die Ruinen von Vinatur werden ab Ende April bei Amazon vorbestellbar sein.

Derweil schreibe ich an dem zweiten Kurzgeschichten-Sidekick des Romans, eine Sammlung von Legenden mit dem Titel Das grüne Buch der Erde - wie gestern erwähnt spielt diese Sammlung von Sagen auch eine Rolle in Vinatur selbst.

Wie viele Legenden es werden, das weiß ich noch nicht. Zwei kurze Stücke habe ich schon. Zum einen den Anfang von Siebenfinger in der Stadt aus Eis - Tira liest in Schattenschleicher den Anfang dieser Geschichte -, zum anderen Die Kinder von Vinatur, eine Sage, die ich gestern im Park begonnen habe zu schreiben.

Im Park, in der Sonne, bei 20 Grad Celcius ... jetzt fällt der Regen in dünnen Fäden und ich sitze am Schreibtisch. Wie gerne würde ich wieder in der Sonne sitzen! Wie gerne wäre ich auf dem Marktplatz von Tagwald, oder auf der Hochebene von Albenmoor ...


15. April 2022

Wieso eigentlich ein Fantasy-Roman? Das ist eine lange Geschichte.

Meine erste große Liebe (nach Enid Blyton) war die Phantastische Literatur. Angeregt von Raumschiff Enterprise und später Mondbasis Alpha 1 lieh ich mir Science-Fiction-Bücher in der Bibliothek aus. Erinnern kann ich mich noch gut an Das Raumschiff der Kinder und Commander Perkins.

Ich war fasziniert von den Welten, in die ich reisen konnte - die ZUKUNFT, Raumschiffe, Roboter, Aliens. Dann kam der Horror ...

Als ich mit elf Jahren den Pfadfindern beitrat, fuhr ich wenig später auf ein Ferienlager und dort las der Stammesführer (so nannte sich das, die Pfadfinder hatten etwas leicht Archaisches - vor allem mein Stamm Bundschuh, der eine Mischung aus Hippies und Aufständigen war) eine Kurzgeschichte vor, von einem Autor, dessen Namen ich noch nie gehört hatte: H.P. Lovecraft. Die Geschichte des Außenseiters traf mich ins Herz, denn das war auch ich. Später würde man so etwas Nerd nennen, damals nannte man das Stubenhocker, Bücherwurm, Brillenschlange (wobei ich in meiner Kindheit und Jugend noch keine Brille tragen musste).

Horror-Literatur war im Jahr 1981 schwer zu bekommen in Deutschland, es war wenig übersetzt und es gab noch kein Internet (allerdings schon das Arpanet, aber dort hatte ich keinen Zugang und Jeff Bezos hatte noch nicht einmal damit angefangen, Bücher mit der Post zu verschicken). Was es aber gab waren Heftromane: Professor Zamora, Larry Brent, Macarbos ... und John Sinclair. Die Romane über den Geisterjäger vom Scotland Yard begann ich mit Elan zu lesen. John Sinclair/Jason Dark war es auch, der mich zum Schreiben brachte: mit zwölf Jahren beschloss ich, dass ich so etwas auch könne (und zwar besser, wie mein jugendlicher Größenwahn mir einredete) und schrieb in ein hellblaues Schulheft meine erste Horror-Story ... Chris Colman - Universität des Grauens.

Von Horror (und Science Fiction, die ich nach wie vor las) war es kein weiter Weg zur Fantasy, vor allem, weil es ab den frühen 80ern geradezu einen Fantasy-Boom gab. Die unendliche Geschichte war erschienen, Conan war verfilmt worden, Der dunkle Kristall lief im Kino ... und ich las, nachdem mir die Abenteuer John Sinclairs dann doch zu simpel geworden waren, die Elric-Reihe von Michael Moorcock und den Enwor-Zyklus von Wolfgang E. Hohlbein (der damals noch die Initiale seines zweiten Vornamens im Namenszug führte). Auch Conan und ThongorKull und Jandar zogen in meine Welt ein. Und ich war beglückt - ich habe in meinem Leben viel gelesen, aber nie wieder solche Unmengen wie in den Jahren 1980 bis 1985. Goldene Zeiten.

1985 war es auch, als ich zwei Bücher las, die meinen Zugang zur Literatur entscheidend verändern würden: Howl, das wilde Langgedicht Allen Ginsbergs und Der Fremde, der existenzialistische Roman von Albert Camus. Beides stand meinem fünfzehnjährigen Ich plötzlich besser zu Gemüt, also betrog ich meine erste Liebe. Aber über die Jahrzehnte hatte ich immer wieder ausgedehnte Affären mit der Ex, doch schrieb ich trotzdem nur das, was man gemeinhin Hochliteratur nennt. Meine Bücher, die bis zu diesem Tag erschienen sind, zeugen davon (gleichwohl sie auch das eine oder andere phantastische Element beinhalten).

In den letzten Jahren allerdings fing mich diese Art von Literatur an zu langweilen - das Bauchpinseln, die mangelnde Spannung, die ewige Selbstbetrachtung - und ich begann wieder verstärkt Science Fiction und Fantasy zu lesen (ab und an auch Horror). Und allmählich breitete sich in mir das Bedürfnis aus, so etwas auch wieder selbst zu schreiben, selbst eine neue Welt zu entwerfen. Und das tat ich dann auch ...


26. April 2022

Endlich sind die Osterferien vorbei und ich kann, als Vater von zwei Kindern, wieder in Ruhe arbeiten.

Den Morgen über - und auch die letzten Tage - habe ich das Manuskript gesetzt (für die Taschenbuch-Ausgabe), dann bei Amazon hochgeladen und schließlich die Detailseite zusammen gebastelt; also die Seite dort, auf der man das Buch dann finden wird ... oder besser gesagt, schon finden kann.

Denn ab jetzt ist Die Ruinen von Vinatur vorbestellbar. Die kleine Werbekampagne werde ich aber erst starten, wenn das Buch am 1. Mai zu kaufen oder leihen ist.

Doch eigentlich wollte ich gar nicht von den Strapazen eines Selbstverlegers berichten, sondern damit beginnen, ein wenig über die Einflüsse zu plaudern, die meine Art Fantasy zu schreiben geprägt haben. Und einer dieser Einflüsse war Das Schwarze Auge.

Ich hatte mir das erste Fantasy-Rollenspiel deutscher Sprache zu meinem vierzehnten Geburtstag im Jahre 1984 gewünscht (lang, lang ist's her) und auch bekommen.

Die nächsten Monate, was sag ich, Jahre verbrachte ich mit diesem Spiel auf dem Speicher meines besten Freundes Joe Enderlein, der dort ein eigenes, von Eltern und Großeltern nicht leicht auffindbares, Reich besaß. Mit anderen Freunden erlebten wir dort Abenteuer in Aventurien und für vierzehnjährige Jungs war das weitaus besser, als alles, was vor den kleinen Fensterluken geschah.

Anfangs richteten wir uns nach den offiziellen Abenteuerbüchern (Im Wirthaus zum schwarzen Keiler!!!), dann aber fingen wir an, eigene zu schreiben - also vor allem ich fing damit an.

Das erste Stück Fantasy, das ich schrieb war Die Sumpfwälder des Schreckens - eine wilde Hatz durch drei Dutzend Fallen, so weit ich mich erinnere. Am Titel kann man schon erkennen, dass ich zuvor nur Horror-Groschenromane gelesen und geschrieben hatte. Das Abenteuer war abgeschmackt und es war großartig!

Eine neue Welt zu entwerfen, mit Städten, Dörfern, Verliesen und Höhlen, das war eine Offenbarung für mich. Das war mehr, als nur eine Geschichte aufzuschreiben und - von heute aus betrachtet - eine gute Vorbereitung darauf, den Roman zu schreiben, den ich jetzt, nach Jahrzehnten, endlich geschrieben habe. Denn die Welt muss ja glaubhaft sein, muss eine Geschichte haben, Mythen, Götter, Pflanzen und Tiere ... und natürlich Monster. Ich hoffe, dass mir das gelungen ist.

In den 80ern kaufte ich noch viele Rollenspiele - Midgard, Dungeon & Dragons, Traveller - aber als ich nach Berlin zog, ließ ich alles in der elterlichen Wohnung zurück. Meine Eltern entschieden sich kurz darauf, sich scheiden zu lassen. Erst zog mein Vater aus, dann meine Mutter ... und die Myriaden von Spielen, Regelbüchern und Abenteuer verschwanden im Orkus der Zeit. (Oder wurden sie von einem Ork gestohlen?)

Weg, ohne Ausnahme.

Mich kümmerte das wenig; ich war in Berlin, lebte ein Leben als Künstler und hatte anderes zu tun.

Doch in den letzten Jahren ergriff mich dann eine Melancholie und brachte mich dazu, einiges nachzukaufen. Auch die Originalausgabe des Schwarzen Auges war dabei, natürlich, denn sie war ja der Ursprung allen Übels. Ich spiele das Spiel nicht mehr, mir fehlen Zeit und Mitspieler, aber ab und an krame ich eines der Abenteuer hervor, blättere darin und fliege mit weit gespreizten Schwingen über das abendliche Aventurien.


29. April 2022

Heute, an meinem 52sten Geburtstag, habe ich den zweiten Band der Ruinen-Reihe (wie ich sie nenne) begonnen - Die Ruinen von Albenmoor - der die Geschichte um Kallum, Ajala, Jaris und Tira fortführt. Und es warten auf den Leser, die Leserin so einige Überraschungen. Denn obwohl ich erst am Anfang des Manuskripts stehe, habe ich natürlich oft und intensiv über die Geschichte nachgedacht, wie sich die Figuren entwickeln werden, wie sich die Welt von Kalandris verändern wird ... und was es mit dem gespaltenen Mond auf sich hat.

Es waren schon von Anfang an drei Bände geplant, aber im letzten Jahr kamen mir Zweifel, ob beim (noch nicht vorhandenen) Publikum überhaupt ein Interesse bestehen könnte? Doch in letzter Zeit habe ich so großen Spaß am Entwerfen dieser Welt gehabt - vor allem, als ich Schattenschleicher schrieb -, dass ich nicht mehr davon lassen kann.

Die nächsten Monate hab ich ausreichend Freiraum, denn eine kleine Rücklage ermöglicht mir, mich bis zum Winter auf meine Arbeit zu konzentrieren, doch im nächsten Jahr werde ich mich, wenn der erste Band kein zumindest kleiner Erfolg wird, nach einem Job umsehen müssen.

Leider ist in diesem Land, von wo auch immer her, das Gerücht, nein, die feste Meinung aufgekommen, man könne mit Anfang fünfzig nicht mehr eine anspruchsvolle Lohnarbeit ausführen, so dass mir nichts anderes übrig bleiben wird, als eine Hilfsarbeit anzunehmen. Das wird auf die Knochen gehen, aber immerhin werde ich mich nicht mit schlauen Leuten rumärgern müssen. (Vermutlich aber mit weniger schlauen).

Wenn ihr also nicht wollt, dass ich ab Januar 2023 Regale bei Lidl einräumen muss, dann verhelft mir zu einem Erfolg und käuft Die Ruinen von Vinatur. Ab übermorgen könnt ihr das eBook oder die Taschenbuchausgabe bei Amazon bestellen. Wenn ihr ein Kindle-Unlimited-Abo habt, könnt ihr das Buch auch ausleihen.

Und wenn ihr mir noch mehr helfen wollt, dann lasst nach dem Lesen eine Rezension dort, sonst trifft mich die persönliche Rezession, denn nichts erhöht die Sichtbarkeit auf Amazon - und somit die Möglichkeit eines Erfolgs - mehr.

Zum Schluss noch die erste Szene des neuen Manuskripts, ein früher Teaser sozusagen, noch bevor ihr den ersten Band gelesen haben könnt. Hoffentlich einer, der neugierig macht:

(ACHTUNG: LEICHTE SPOILER ZUM ERSTEN BAND)

Der gespaltene Mond stand groß und bedrohlich am Himmel, drängte sich durch die dunkelgrauen Wolkenfetzen, die von einem scharfen Wind über die Wälder am Fuß der Burg getrieben wurden.

Es roch nach Nebel und Herbstlaub. Die Nacht war still wie ein Schlachtfeld nach dem Ende der Kämpfe und Tarank at’ Miradek stand am obersten Fenster des Burgturms und blickte abwechselnd hinab auf die Wälder und zum Mond hinauf, der ihn schwermütig werden ließ. [...]

Tarank ar’ Miradek schaute wieder in die Tiefe. Die Burg thronte auf einer schroffen Felsnadel, die sich mehr als zweihundert Fuß aus den dunklen Wäldern erhob. Wälder, die bis zum Horizont reichten und von Nebelschwaden durchzogen wurden und in denen die Unberührbaren hausten. Früher einmal waren sie Diener auf den Burgen seines Volkes gewesen. Das war lange her, Tarank konnte sich kaum noch erinnern, wie lange. Waren hundertzwanzig Sommer vergangen, oder eher hundertvierzig? Tarank wusste es nicht mehr. Müde strich er sich über das hagere Gesicht, das weiß wie Marmor war und genauso kalt und hart. Manchmal wünschte er sich die Diener zurück. Und die Dienerinnen. Aber es wäre kein guter Einfall, die Gefahr eines weiteren Aufstands heraufzubeschwören. Deshalb hatte der Hohe Rat seinerzeit die Unberührbaren verbannt, bis auf wenige Ausnahmen, die in der Zitadelle dienten, ruhig gestellt, vom eigenen Willen befreit durch die Kunst der Elchemischen Gilde.

Tarank at’ Miradek wandte sich von dem nächtlichen Bild ab, vom gespaltenen Mond und von den Wäldern, dem Nebel und den düsteren Wolken und trat an ein filigranes Tischchen, um den Docht der Öllampe hochzudrehen. Das Licht flammte auf und erhellte sein Schlafgemach. Es musste weit nach Mitternacht sein und er würde bis zum Morgengrauen nicht schlafen können, das spürte er bis tief in die Knochen. Je älter er wurde, um so seltener küsste ihn die Mutter Nacht, um so mehr versank er in fruchtlose Grübelei.

Er gab sich einen Ruck und ging zu seinem Harmonium, das neben dem Bett stand. Etwas Musik würde ihm gut tun, würde seine angespannten Nerven beruhigen. Wenn nur nicht der gespaltene Mond so dicht vor seinem Fenster stehen würde.


1. Mai 2022

Es ist soweit, heute ist Die Ruinen von Vinatur bei Amazon erschienen. Und kurz nach Mitternacht zeigten mir die internen Statistiken schon einen Verkauf an. Wer das wohl gewesen sein mag?

Ich werte das mal als ein gutes Zeichen.

Die nächsten Tage werden spannend für mich. Ich habe dieser Veröffentlichung mehr entgegen gefiebert, als meinem Geburtstag zwei Tage zuvor. Und es ist mir klar, dass es ein Höllenritt werden wird, diesen Fantasy-Jumbo von der Landebahn zu bekommen - aber mit eurer Hilfe wird das schon ...

Als nächstes starte ich eine kleine Werbekampagne direkt auf Amazon und werde sie mit der Kreditkarte meiner Frau bezahlen, weil ich keine eigene habe (der arme Poet).

Ein heftig kapitalistisches System übrigens; man ersteigert die Werbeplätze über das Gebot für einzelne Schlagwörter. Immerhin kann man überhaupt Werbung schalten. Bei Steam zum Beispiel ist das nicht möglich, wie ich bei meinem ersten eigenen Game erfahren musste. Steam verkauft das als "Faire Entscheidung", um den großen Playern keinen Vorteil zu geben, aber der Effekt für einen Ein-Mann-Publisher wie mich ist, dass keinerlei Sichtbarkeit entstehen kann. Mein Spiel Gothic 1881 (das wirklich recht gelungen ist, wie ich finde) hat sich in etwas mehr als einem Jahr nur rund 100 mal verkauft.

Da ersteigere ich dich lieber einen Werbeplatz bei Amazon und hoffe auf das Beste.


2. Mai 2022

Wow! Tag 2 und schon ist das Buch in der Unterkategorie Dunkle Fantasy in der Top 100. Das fängt ja gut an. Ist nebenbei gesagt das erste Mal in meinem Leben, dass ich in den Charts auftauche.

Aber zufrieden bin ich ja nie, deswegen hoffe ich sehr, in den nächsten Tagen auch in die Hauptkategorie Fantasy aufzusteigen. Das wäre ein Traum, wenn das kein Traum bliebe.

Was mich auch begeistert hat: Amazon stellt ja einiges an Statistiken zur Verfügung und dadurch habe ich erfahren, dass gestern 644 Seiten, bei über Kindle Unlimited ausgeliehenen Büchern, gelesen wurden. Da ich nicht glaube, dass Die Ruinen von Vinatur schon oft ausgeliehen wurde bedeutet das wahrscheinlich, dass jemand das Buch in einem Zug durchgelesen hat. Scheint spannend zu sein ...

Am Vormittag habe ich weiterhin das Buch in verschiedenen Sozialen Medien und Foren beworben und vor allem meine Facebook-Community hat mich unterstützt, auch mit Käufen. Großartige Sache.

Anschließend habe ich eine kleine Werbekampagne bei Amazon selbst geschaltet, mit einem Etat von 200 Euro für 10 Tage. Mal sehen, was es bringen wird. Nach den heutigen Zahlen und Rängen bin ich zuversichtlich.


25. Mai 2022

Kinder, Küche und Karriere haben mich die letzten Wochen daran gehindert, in diesem Arbeitsjournal zu schreiben, was nicht sehr schlimm ist, weil kaum etwas Nennenswertes geschehen ist. Außer die Werbekampagne ...

Auf Amazon bietet man für Klicks. Ich habe also ein Tagesbudget festgelegt, dass meine Gebote auf 20 Euro täglich begrenzt hat. Den einzelnen Schlagwörtern, mit denen ich Klicks für mein Buch generieren wollte, habe ich Gebote von anfänglich um die 70 Cent pro Klick, später bis zu 120 Cent zugeordnet. (Dieser Betrag wird nur angerechnet, wenn ein Käufer auf die Anzeige klickt und auf die Detailseite des Buches weitergeleitet wird).

Vorweg kann ich sagen, es hat kaum etwas gebracht. Zwar habe ich durch die ziemlich hohen Gebote mehr als 20.000 Impressionen gehabt - das heißt, so oft wurde meine Anzeige in der Suchliste zu meinen Schlagwörtern gesehen - aber nur ein paar hundert Leute haben dann auf das Buchcover geklickt, um auf die Detailseite des Buches zu kommen. Und noch weniger haben das Buch dort gekauft. Sehr viel weniger. In den zehn Tagen, die die Kampagne lief, sind über die Werbung sage und schreibe 4 Verkäufe zustande gekommen (und ein paar Hundert gelesene Seiten über Kindle Unlimeted).

Glücklicherweise ist das Gebotssystem auf Amazon dynamisch, so dass mein Tageslimit vom Algorithmus nicht annähernd ausgeschöpft wurde. Ich habe also in den zehn Tagen nur etwa 50 Euro Verlust gemacht.

Kein Problem. Was aber ein Problem ist: wieso haben mehr als 20.000 Impressionen zu nur 4 Verkäufen geführt?

Es könnte am Cover liegen. Was schmerzt, weil ich das Cover ja selbst entworfen habe und es für ziemlich passabel hielt. Aber das Publikum hat es offensichtlich nicht goutiert, passabel scheint heutzutage nicht auszureichen. Also habe ich mich nach guten Grafikern umgeschaut - und die guten sind teuer. (Und die billigen kaum besser, als ich selbst). Ein Grafiker, den ich sehr schätze und der für viele große Verlage arbeitet, möchte für ein Cover mindestens 800 Euro. Das ist zwar angemessen, aber für mich völlig außerhalb des Budgets, vor allem, weil ich mir ziemlich sicher bin, diese Ausgabe auf absehbare Zeit nicht wieder reinholen zu können. Und was wäre, wenn es doch nicht am Cover liegt, sonden zum Beispiel an der Buchbeschreibung oder am Plot? Dann hätte ich knapp 1000 Euro in den Sand gesetzt.

Wie also weiter? Erst einmal werde ich wie geplant nächste Woche das Beiboot veröffentlichen, die Kurzgeschichte Schattenschleicher, die ich teils kostenlos anbieten werde, um LeserInnen zu begeistern und dann auf den Roman zu verweisen. Auch das eine ziemliche unsichere Herangehensweise. Aber vielleicht geht der Plan ja auf.

Zum anderen werde ich mich wieder an meine Grafikprogramme setzen und ein neues Cover gestalten, eines, dass dem Publikum hoffentlich besser gefällt. Der Relaunch folgt dann im Laufe des Monats Juni.

Was noch zu sagen bleibt: faszinierend, wie wenig Verkäufe man braucht, um bei Amazon in einer (eher unwichtigen) Unterkategorie in der Top 100 zu landen. Ein, zwei eBooks am Tag, dann noch 200 gelesene Seiten in ausgeliehenen Exemplaren ... und schon steht man auf Platz 98 in Dunkle Fantasy. Aber gebracht hat das leider auch nicht viel.


31. Mai 2022

Kostenlos - eigentlich wollte ich das ja nie wieder machen, denn ein Schriftsteller soll für seine Arbeit bezahlt werden.

Aber dieses Mal habe ich einen Plan: die knapp 50 Seiten lange Fantasy-Story Schattenschleicher wird von mir in den nächsten Tagen verschenkt und soll sozusagen als Schlepper für den Roman dienen (ich erwähnte es schon). Das Ziel ist, die Leserschaft mit dieser Geschichte von meinem Können zu überzeugen, so dass sie ohne mit der Wimper zu zucken, oder überhaupt nachzudenken, den Roman kauft. Ein schöner Traum ...

Allerdings weiß ich, aufgrund der Kostenlos-Aktion bei meinem ersten eBook (Jahre ist es her), dass zwar viele potenzielle Käufer gerne ein Geschenk annehmen, dann aber nicht mal eine Review oder ein paar Sterne auf Amazon da lassen. Undankbare Kobolde, sie alle.

Vielleicht ist es dieses Mal ja anders ... Begeisterungsstürme, Berühmtheit, Reichtum ... Schnickschnack.

Was mich an etwas erinnert: ihr, die ihr schon Die Ruinen von Vinatur gekauft habt, ihr knapp 30 Menschen dort draußen in den Weiten der Gutenberg-Galaxis, seid so gut und gebt mir ein paar Sterne oder eine Review, wenn ich schon keinen Kanten Brot in der Hand und kein Dach mehr über dem Kopf hab. Denn ich bin ein armer Gaukler, doch ich kann mit Ironie und Sarkasmus besser jounglieren, als mit Totenschädeln.


30. August 2022

Heute, Monate später, muss ich leider eingestehen, dass es sich alles nicht so entwickelt hat, wie ich es mir erträumte.

Die Werbekampagne auf Amazon ist ins Leere gelaufen, die beiden Bücher haben sich grauenhaft schlecht verkauft, die Kostenlos-Aktion ist wie schon geahnt vonstatten gegangen - mehr als zweihundert Exemplare sind gratis über den Tresen gegangen, keine einzige Rezension ist danach auf Amazon veröffentlicht worden, nicht einmal ein paar Sterne glitzerten.

Das alles ist schade, aber offenbar nicht zu ändern. Ich habe mich bemüht (sicher nicht genug), doch was Public Relations anbelangt, bin ich leider, leider eine Null.

Und vielleicht ist Die Ruinen von Vinatur auch einfach nicht gut genug, um es in höhere Ränge zu schaffen.

Die Konsequenz: ich habe den zweiten Teil, Die Ruinen von Albenmoor, erst einmal ad acta gelegt und schreibe zur Zeit stattdessen zum einen an einem Krimi, zum anderen an einer Dystopie. Mal sehen, was daraus wird ...

Als Abschiedsgeschenk für meine dreißig treuen Leser und Leserinnen habe ich einen Download auf die Startseite dieser Homepage gestellt: Siebenfingers Rache, eine Kurzgeschichte, eine Legende aus dem Grünen Buch der Erde. Ich wünsche euch viel Vergnügen beim Lesen.


Mittwoch, 13. April 2022


In nächster Zeit geht es auf meiner Homepage weiter mit einem Arbeitsjournal zu meinem Fantasy-Romanzyklus

Die Ruinen von Vinatur

KLICK



Sonntag, 2. Mai 2021

Seit mehr als 50 Jahren suchen wir nach Leben draußen in den Sternen. Wir hören Radiofrequenzen ab, wir scannen den Himmel, wir entdecken neue Sterne, sogar Planeten in den letzten Jahren, Planeten, die teils dafür gemacht scheinen, Leben zu beherbergen.
Doch finden können wir nichts. Alles leer dort draußen, alles still. Ein schweigendes Universum. Dabei müsste es vor Leben - auch intelligentem - nur so wimmeln, wenn man die schiere Menge der Sonnensysteme betrachtet, die allein im sichtbaren Universum vorhanden ist (und es besteht die Möglichkeit, dass jenseits des sichtbaren Teils noch mehr existiert). Millionen von Milliarden von Sternen, besser noch, Millionen von Milliarden Galaxien. Unmessbar ... doch augenscheinlich leblos.

Die heutzutage übliche Erklärung für dieses kaum wahrscheinliche Phänomen ist die Annahme, dass das Universum zu alt sei (nach heutiger Vorstellung etwa 14 Milliarden Jahre), die Abstände zwischen potenziellen Zivilisationen zu groß, räumlich wie auch zeitlich. Deswegen sei es realistisch, dass zeitgleich mit uns keine andere Intelligenz in der Milchstraße existieren würde. Und über die Milchstraße hinaus wären die Entfernung zu gewaltig, als dass wir eine andere Zivilisation entdecken könnten.

Doch was ist mit Von-Neumann-Maschinen ? Wir, eine nur mäßig fortgeschrittene Gesellschaft, sind kurz davor diese Kolonisations-Maschinen zu entwickeln, technisch wäre es uns bereits möglich. Sollte es in den letzten zehn, zwölf Milliarden Jahren schon zahllose außerirdische Zivilisationen gegeben haben, müsste nur eine das Konzept der selbst-replizierenden Maschinen gehabt haben, dann hätten sich diese Armeen von Robotern in den vergangenen Äonen über das gesamte Universum ausgebreitet. Und selbst wenn diese, wie ein biologischer Organismus, irgendwann ausgestorben wären, zum Beispiel durch Ressourcenmangel in den Räumen zwischen den Sternsystemen, müssten wir Relikte auf allen Planeten finden.
Zudem wären es in Milliarden Jahren wohl nicht nur ein paar wenige außerirdische Lebensformen gewesen, die Von-Neumann-Maschinen entwickelt hätten. Wo also sind sie, die Maschinen und ihre Erbauer? Sie sind nicht vorhanden. Das Universum ist still, bis auf diesen einen kleinen, blauen Planeten in einem - so scheint es - unbedeutenden Sonnensystem am Rande des Orionarms unserer Galaxie. Sozusagen der Garten Eden des Kosmos.

Wir sind allein. Doch was folgt daraus? Wenn wir davon ausgehen, dass in einem derart maßlosen Weltall keine andere Intelligenz existiert bedeutet dies nicht nur, dass wir etwas unfassbar Außergewöhnliches sind, es impliziert, dass wir mit Absicht erschaffen wurden, dass die Erde eben doch auserwählt ist unter all den Steinkugeln, unter all den Gasbällen, die menschenleer durch die große Leere driften.

Denn wie sollte es eine Erklärung sein, dass in all dieser Maßlosigkeit, die wir Universum nennen, durch einen nicht wiederholten Zufall nur auf einem einzigen Planeten - unter Milliarden von Milliarden Planeten - intelligentes Leben entstanden ist? Da scheint mir ein Schöpfer die naheliegendere Erklärung zu sein.

Die Leere des Himmels ist der beste Gottesbeweis.

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Sonntag, 25. April 2021

In letzter Zeit habe ich ja schweres Bauchgrimmen des Alterns wegen. Erwähnte ich das schon?
Mein Körper baut ab, die (wenigen, immer schon dürftigen) Muskeln werden in Fett tranformiert, was denn Effekt hat, dass ich zwar nicht in die Breite gehe, aber trotzdem immer schwabbeliger werde. 181 groß, 75 Kilogramm schwer und einen Körperfettanteil von 27 Prozent. (Du Lauch, oder besser gesagt, du Pudding). Also habe ich unlängst mit etwas Training angefangen, am Morgen, im violetten Bademantel. 3-Kilo-Hanteln und rumgezappel auf dem Boden.

Inspiriert hat mich dazu auch der Blog des muskulösesten Schriftstellers der Welt, André Spiegel, der nicht nur einen Bizeps hat, sondern auch Style, sowohl im Schreiben, als auch im Kleiden. Seinen großartigen Blog findet ihr hier:

Sport also. Es ist nicht zu fassen, was ich auf meine alten Tage noch alles veranstalte. Ich habe noch nie in meinem Leben Sport gemacht (von einem halben Jahr Judo im Alter von sieben Jahren abgesehen - ich hab nicht mal den gelben Gürtel bekommen), alle Muskeln, die ich habe, sind mir genetisch vererbt worden. Vielleicht hatte ich vor Äonen einen Hufschmied als Ahnen.
Vor fünf Tagen habe ich angefangen, unangeleitet und unkoordiniert. Diese niedlichen Hanteln waren ja noch zu meistern, aber als ich mich zum Liegestützen niederließ, brach ich nach fünf Stück fast zusammen und zehn Sit-ups schienen mir die Bauchmuskulatur zu zerreißen. Nach zehn Minuten Training war ich völlig fertig. Doch der menschliche Körper ist ein Wunderwerk, der mich immer wieder überrascht. Vor allem meiner.

Jetzt, nach nur fünf Tagen, halte ich schon eine halbe Stunde durch, bringe 20 Liegestütze und 30 Sit-ups fertig und fühle mich wie He-Man! Ganz ohne Flax, mein Körpergefühl hat sich nach so kurzer Zeit schon verändert. Und deswegen habe ich beschlossen, das weiterzuverfolgen. Und mich in einem Fitness-Studio anzumelden. Doch: Stopp! Corona! Verdammt!
Dabei gibt es bei mir um die Ecke ein sehr schönes Studio, das in einem Gebäude residiert, welches den Architektur-Kenner an einen SciFi-Streifen aus den 70er Jahren denken lässt. Man muss dort, im 5. Stockwerk des Forum Steglitz, einen großartigen Ausblick haben. Schön muss es dort sein. Das ist mir schon oft aufgefallen, wenn ich an dem Gym vorbeiging, auf dem Weg in die Steglitzer Bücherei (die Ingeborg-Drewitz-Bibliothek, die ich sehr empfehlen kann).

Noch nie war ich in einer Mucki-Bude, ich habe so etwas immer milde verachet, aber jetzt will ich dort hin. Ich will an die Gewichte, zum Yoga und zum Zumba (hört sich toll an, aber was - um Gottes Willen - ist das? Zumba?). Vor allem will ich an die Rudermaschine. Denn über die Anschaffung einer Rudermaschine denke ich schon lange nach (seit ich "House of Cards" geschaut habe). Doch gute Rudermaschinen sind teuer - würde ich mir eine kaufen (wofür ich nicht das Geld habe), hätte ich zwei Jahresbeiträge für das Fitness-Studio ausgegeben. Also möchte ich sozusagen die günstige Variante wählen.
Aber werde ich dort nicht einen Kulturschock bekommen? Oder werde ich in ein modernes, gesundes, optimiertes, muskulöses Leben hinein gezogen? Dürfen Dichter überhaupt in Mucki-Buden gehen? Und soll ich schon mal das Vorher-Foto aufnehmen?
Das Leben und die Fragen, die es einem stellt, sie werden nicht einfacher mit zunehmendem Alter.

Eugen Sandow

Samstag, 24. April 2021

Der Tod lauert überall. Auf den Türklinken, in der Luft, im Atem fremder Menschen.
In letzter Zeit beschwert mich wieder der Gedanke, dass ich rapide älter werde. In fünf Tagen ereiche ich das 52. Lebensjahr. Wenn ich so alt wie meine Mutter werden sollte, bleiben mir noch dreizehn Jahre, wenn so alt wie mein Vater, noch sechzehn. Das ist nicht viel, das ist knapp bemessene Zeit.
Mein Vater ist mittlerweile fünfzehn Jahre Tod, meine Mutter vierzehn. Es sind also etwa so viele Jahre seither vergangen, wie mir noch bleiben würden, wenn ich so jung sterben würde, wie meine Eltern. Wobei: als mein Vater mit 67 Jahren starb dachte ich erst, das sei doch verteufelt früh, aber dann schaute ich in den Kohorten-Registern nach. Für einen Mann seines Jahrgangs war er genau durchschnittlich alt geworden: 67,5 Jahre.
Er war ganz einverstanden damit, in diesem Alter zu sterben, war sich sicher, sein Leben aureichend gelebt zu haben. Starb ohne sichtbare Angst an einem lauen Sommertag in einem Hospiz, bekleidet mit einem Krankenhaushemdchen, dass seine Rückseite durch einen Schlitz sehen ließ

Ich hingegen habe mir schon früh vorgenommen, 93 Jahre alt zu werden. Die Zahl kam zustande durch meine ausgeprägte Angstneurose, unter der ich früher litt. Alle wichtigen Dinge mussten mit der Zahl Drei (oder ihrem Vielfachen) zu tun haben. Das bedeutete, dreimal drei Mal auf's Holz klopfen, oder auf das Türblatt, nachdem ich die Tür abgeschlossen hatte (also drei Mal abgeschlossen und wieder aufgeschlossen hatte, um sie dann wieder jeweils abzuschließen). Oder ich musste drei Mal auf den Boden spucken, um zu überleben, oder neun Mal um einen Poller herumgehen, um nicht sofort des Todes zu sein. Wobei: wenn die Drohung der himmlischen Mächte sich auf ein "Sofort" bezogen, dann war ja noch alles in Butter. Schlimm wurde es erst, wenn der Nichtvollzug einer magischen Handlung den Tod innerhalb der nächsten 24 Stunden versprach. Denn bei einem "Sofort" war ich nach einigen Sekunden erlöst, bei einem "Die folgenden 24 Stunden" musste ich zittern bis zum nächsten Abend. Der Tod lauerte überall. In jedem Kellerfenster, in jeder Ritze, in meinem Kopf, in meinem Herz.

Schon in der nächsten Sekunde könnte mein Herz aufhören zu schlagen oder mein Hirn explodieren (so wie bei meiner Mutter, die allein in ihrer Wohnung sitzend vom Schlag getroffen wurde - man fand sie zwei Wochen später, denn es roch merkwürdig im Treppenhaus). Über den Tod denke ich nach, seit ich 11 Jahre alt bin, folglich seit nunmehr 40 Jahren. Covid-19 kann mich wenig schockieren. Ich bin abgehärtet. Ich habe den Tod in unzähligen Nächten gesehen und geschmeckt, gerochen und gefühlt. Schon als Kind, als ich mit einem schweren Fieber über Wochen im Bett lag, gefangen in Fieberträumen, am Rand des verzerrten Abgrunds, der nicht dunkel war, sondern hell wie die Unendlichkeit. Es war im Frühjahr 1978, und die Russische Grippe hatte mich in den klammen Fingern, wollte mich nicht mehr hergeben. Ich kann mich gut an die Linsensuppe erinnern, die meine Mutter kochte, als ich auf dem Weg der Besserung war, dem lang gedehnten Fiebertraum entronnen. Es gab danach nie wieder etwas, das so gut geschmeckt hatte. Ich hätte mein Erbteil gegeben für dieses Linsengericht.

Draußen ein Frühling mit der Seele eines Winters. Menschen auf den Straßen, bald schon tot, historische Fotografien, die in hundert Jahren beim Trödler liegen werden, wenn auch die Enkel gestorben sind an irgendeiner unbeschreibbaren Seuche. Alle schon jetzt vergessen, so wie ich.

Meine Eltern sind noch nicht vergessen. Unlängst habe ich meine tote Mutter animiert (genauer gesagt ein Foto von ihr). Die KI hat ihrem fest gefrorenen Gesicht neues Leben eingehaucht.
Manchmal habe ich das Gefühl, ich könnte sie einfach besuchen gehen. Denn es war doch erst letzte Woche, als ich bei ihr zum Essen war ... oder nicht? Es gab Linsensuppe.


Freitag, 23. April 2021

Schlecht ist, dass die allgemeine Empörung die Menschen zum Schweigen bringt, und zwar meist nicht die, die empört sind.
Da haben also ein paar mehr oder minder prominente Schauspieler und Schauspielerinnen ihren Unmut darüber kundgetan, dass so vieles geschlossen wird, marginalisiert, unnütz gemacht.
In meiner Facebook-Blase dann - die sich teils mit der Blase der Meinungsmacher der Printmedien schneidet - ein einziger Aufschrei: Wie kann man denn nur ... das wären ja fast schon Rechte ... die würden die Toten verspotten ...
Und gleich darauf zieht die erste - Heike Makatsch - ihren Beitrag zurück. Aus ihren Zeilen bei Twitter kann man die Panik fast heraushören. (Angstschweiß, Odorama-Kinntop). Jetzt nur keinen falschen Schritt, sonst ist die Karriere gecanceled. Der erste Rundfunkrat (was für ein Titel) mit Namen Garrelt Duin fordert bereits, die unverschämten Schauspieler und Schauspielerinnen von ihren Rollen im TV zu entbinden. Man könnte das auch Berufsverbot light nennen. Aber bislang ist es nur die Twitter-Forderung eines subalternen SPD-Politikers.

Diese aufschäumende Panik, die im Mantel der Wut daher kommt, im Wolfspelz - eine Meute, zwei Meuten, auf jeder Seite Meuten. Aber alle haben sie keinen Schneid. (Kleiner, preußischer Scherz, verzeihen Sie mir, ich schreibe gerade an einem Roman übers 19te Jahrhundert).
Soviele dabei, die seit Jahrzehnten den Planeten ruinieren, aber wenn irgendwer vorsichtig anfragt, ob er sein Leben zurückhaben könnte, eventuell, ganz vielleicht, wenn's nicht zuviele Umstände macht, irgendwann - dann, ja, dann reißen sie den Mund auf und geben unterthänigst zu bedenken, dass die Intensivstationen "volllaufen" würden. Schieben die Toten und Sterbenden vor wie ein Schutzschild. Alle Mann Augen geradeaus und Marsch, sonst sterben die Leute. Und wer nicht mitläuft, der killt meine Omi.

Nebenbei bemerkt: ein Land von mehr als 80 Millionen Bürgern, dass es nicht schafft, etwas mehr als 5000 Intensiv-Patienten angemessen zu behandeln und pflegen, das hat ganz andere Probleme, als nur die Pandemie. (Ich geb einen Tipp: das Problem nennt sich ungezügelter Kapitalismus - und der tötet Menschen schon seit Jahrzehnten nach Hekatomben).

Ich will nicht wissen, was in diesem Land los sein wird, wie diese Gesellschaft sich ins Schäumen bringen wird, wenn demnächst mal ein Virus vorbeischaut (Hallo, schön Sie zu sehen, Herr Nachbar), das eine Letalität von 10% hat, oder 30%. Das Vogelgrippe-Virus H7N9 wäre ein guter Kandidat. Dann können wir "The Stand" von Stephen King neu inszenieren und dann haben auch Ulrich Tukur und Jan Josef Liefers wieder eine angemessene Rolle.

Das derzeitige Virus ist ja nicht mal ne Grippe (tief durchatmen), wenn man es mit der Spanischen Grippe von 1918/19 vergleicht. Und trotzdem schon die ersten Stimmen in meinem Bekanntenkreis, dass es nie wieder Normalität geben dürfe, zumindest die Masken lebenslänglich getragen werden müssten. Und bis dahin: Zero Covid!
Freunde, ich sage es seit Monaten: das Wesen einer Pandemie ist, das man sie nicht aufhalten kann.

Aber die Impfungen, höre ich viele empört schreien, die werden uns retten. Vor der Mutante ... und der Mutante ... und der Mutante. Die Impungen werden uns retten mutatis mutandis.

(Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass die AfD verboten gehört).



Donnerstag, 22. April 2021

24 Milliarden Euro müssen die Herren der deutschen Atomindustrie für die Entsorgung des angefallenen Atommülls zahlen, dann sind sie wieder schuldlos, die Zerstörer. Derweil die Linguisten noch immer darüber streiten, welche Piktogramme in 100.000 Jahren gelesen, entziffert werden könnten. Es wird wohl auf einen Totenkopf hinauslaufen, Symbol eines uralten Todeskults. Kommen sie nicht näher, hier wird ihnen die Haut in Fetzen vom Körper fallen, hier kotzen sie sich die Seele aus dem Leib. Das ATOMZEITALTER war in meiner Kindheit. Oder, nein, das ist nicht richtig beschrieben, vielmehr WAR meine Kindheit das Atomzeitalter. Die Ära der Radioaktivität spannte sich als gesellschaftliches Ereigniss durch die 70er und 80er Jahre, füllte die Gazetten und Gehirne. Ich kann mich erinnern: Pershing II auf Tiefladern, die über die Autobahnen (Hitlers Autobahnen, wie man noch sagte. Autobahnen, die von Kraftwerk besungen wurden, eine Elekronik-Combo, die sich nach dem AKW benannt hatte) - die also über die Autobahnen fuhren, bedeckt mit olivgrünen Planen, Götzen eines seltsamen Fruchtbarkeits-Kults. Wir, die Kleinfamilie, die Kernfamilie, zockelten im Ford Escort an den endlos langen Kolonnen der Atomraketen vorbei, auf dem Weg in eine strahlende Zukunft.

Dann Tschernobyl - auch schon 35 Jahre her, Kinder, wie die Zeit vergeht - Gerüchte vom Sterben, Milch von deutschen Kühen nicht mehr trinkbar, Salat welkte in den Supermärkten, Pilze brachten den Tod und keine Träume mehr. Davor und danach marschierte ich auf Anti-AKW-Demos, ein Teenager mit Angst in den Knochen, mit Kobalt in den Knochen. Kobolde jede Nacht, die die Zähne fletschten unterm Bett. Es hat nichts gebracht. Oder, doch: es hat mich zu dem Freak gemacht, der ich schon war, von diesem Zeitpunkt an war ich unrettbar verloren für dieses System. System des Todes. Landschaften unter ABC-Nebel. ABC-Schüler war ich fortan nicht mehr.

Und die Jagdflieger in den Lüften, die Probealarme jeden letzten Freitag im Monat, die uns auf den Atomkrieg vorbereiteten. Der Musiklehrer - ein sanfter Nazi - spielte die Intervalle immer auf dem Klavier mit, die Sirenen, die uns in die Verderbnis riefen. Draußen vor den Fenstern zuckten die Hausfrauen zusammen. So lange sie ihre Plastiktüten von Aldi nicht fallen ließen und zu rennen begannen, so lange war alles gut. Noch.

Das Atomzeitalter, es wurde im Fernseher beendet, erst von Gorbatschow, dann von Schröder-Fischer-Merkel. Hat uns nur 24 Milliarden Euro gekostet, vorerst. Billige Sache. Angst habe ich nur noch selten. Unter den Hügeln der Pfalz schlummern immer noch die Mittelstreckenraketen.


Donnerstag, 2. April 2020


TOTENSOMMER [8]

+++ Live-Kolportage-Roman aus dem Jahr 2020 +++


5. Kapitel


Das Haus war so runtergekommen, wie er es in Erinnerung hatte.
Drei von sechs Räumen waren leer, nur alte Blümchen-Tapete hing traurig von den Wänden und Mäusekot lag in den Ecken. Im Zimmer unterm Dach hatte es rein geregnet und der Dielenboden war aufgequollen.
Im Erdgeschoss waren nur die Küche, das Wohnzimmer und eine kleine Schlafkammer nutzbar. In der Küche stand eine antike Kochmaschine, die man mit Holz beheizen konnte, ein wackeliger Tisch mit Resopal-Platte  und vier Stühle, aus deren Sitzflächen der Schaumstoff rauskam. Die Kammer wurde fast vollständig von einem alten Doppelbett eingenommen, dessen Federbetten nach Muff und dem Fett der Gänsedaunen rochen. Nur das Wohnzimmer sah einigermaßen wohnlich aus. Ein Sofa aus der Vorkriegszeit stand neben dem großen Fenster zum Garten, drei Sessel mit erbsgrünen Polstern waren um einen niedrigen Tisch aus Eichenholz gruppiert und zwischen zwei Bücherregalen hing ein Ölbild mit einer Waldszene, die gar nicht mal so kitschig wirkte. In den Regalen stapelten sich Bücher und Zeitschriften, ein halbes Dutzend Nippes-Figuren aus Porzellan und ein Wählscheiben-Telefon.
Georg sah sich die Bücher an und blies Staub von den Rücken: drei Bände Lenin, das Kapital von Marx und Engels, zwei Kochbücher, sehr viele Kriminalromane von Edgar Wallace und Agatha Christie, eine Reihe mit Klassikern der Weltliteratur und ein Taschenbuch-Lexikon in zwölf Bänden. Er dankte seinem Schöpfer, dass er seinen Kindle mitgenommen hatte.

Es war kalt im Haus, deswegen ging er raus zu einem kleinen Schuppen, der windschief an der Hausmauer lehnte, und holte eine handvoll Holzscheite. Zurück nahm er den Weg um das Haus, damit er den Garten begutachten konnte. 
Hauptsächlich waren es Disteln und Giersch, die die Beete und Rasenflächen überwuchert hatten. An den Zäunen, die das Grundstück einhegten, stand dichtes Gestrüpp und die zwei Linden inmitten des Gartens waren seit Jahren nicht mehr beschnitten worden. Das Ganze sah völlig verwildert aus. Immerhin würden sich darüber die Nachbarn nicht beschweren, weil das Haus zurückgesetzt am Rand der Ortschaft stand, hinter den Zäunen schlossen nur Felder und brachliegende Weiden an. Das nächste Haus war gut hundert Meter entfernt die Dorfstraße runter.
Georg ging wieder rein und heizte den Kachelofen im Wohnzimmer an. Die kackbraun glasierten Kacheln wurden schnell warm, der Ofen zog vermeintlich gut, aber als der Wind auch nur ein bisschen auf den Schornstein drückte, war der Raum sofort mit dichtem Rauch gefüllt.
„Verdammt!“
Georg riss die Fenster auf und versuchte, möglichst flach zu atmen. Das Landleben – ein Grauen. Aber vermutlich besser, als in der Großstadt eingeschlossen zu sein.
Während der Rauch abzog ging er zur Leiter im oberen Stockwerk und kletterte zum Kriech-Speicher hinauf. Gebückt konnte er sich gerade noch bewegen und schaute sich um. In einer Ecke stand eine eingestaubte Kommode und unter der kleinen Dachluke ein steinaltes Fernsehgerät. Nordmende, sicherlich 40 oder 50 Jahre alt, vermutlich sogar noch in Schwarzweiß.
Georg zog nacheinander die drei Schubladen der Kommode auf: zerfledderte Wanderkarten, rostiges Werkzeug, mottenzerfressene Decken und zwanzig Rollen Klopapier aus DDR-Produktion. Auf der Banderole stand Werra-Krepp.
„Besser als nichts“, murmelte er.
Dann ging er wieder runter und packte seine Sachen aus. Der Rauch hatte sich mittlerweile verzogen und die Holzscheite hatten eine so große Hitze entwickelt, dass die Luft im Schornstein zuverlässig nach oben gedrückt wurde.
Georg nahm sein Laptop und ließ sich in die Sofa-Polster sinken. Die Eisenfedern knarrten und quietschten.

Als der Abend anbrach, hatte er genug Nachrichten über die Corona-Krise gelesen und startete ein Videogame. Wenn draußen in der wahren Welt nur Seuchen und Verdammnis zu finden waren, schien ihm die beste Alternative, in die Wirklichkeit eines Spiels abzutauchen.
Risen stand auf dem Start-Screen und Georg wählte den niedrigsten Schwierigkeitsgrad. Er wollte entspannen, wollte ferne Länder sehen, Monster mit einem Schwertstreich in die Hölle schicken. Er wollte jetzt Eskapismus! Realitätsflucht bis zum Abwinken!
Das Spiel begann und er fand sich in einer Bucht am Meer wieder. Die Wellen schlugen wild ans Ufer und der Gewitterhimmel wölbte sich zerklüftet über dem Wasser.
Am Ende der Bucht breitete sich ein üppiger Dschungel aus, in dem sicher gefährliche Ungeheuer lauerten.
Georg schaute sich um, indem er die Maus nach links und rechts bewegte. Am Ufer lagen tote Matrosen, die wie er Schiffbruch erlitten hatten, aber nicht so gut weggekommen waren, die nicht Helden dieses Spiels sein durften, nur leblose Charaktermodelle im pixeligen Sand.
Er durchsuchte ihre Taschen und sackte Goldstücke, Rum-Flaschen und ein Entermesser ein. Dann stieß er auf eine Frau, die ebenfalls im Sand niedergestreckt lag, die aber offenbar noch nicht ihr Leben ausgehaucht hatte. Ihr Name war Sara und sie suchte seinen Schutz.

Nachdem er drei Stunden lang Monster geschnetzelt hatte, war es immer noch Tag und er ließ sich zu einem Spaziergang hinreißen, auch wenn er es eigentlich vermeiden wollte, irgendwelche Dörfler zu treffen.
Die Sonne stand knapp über den Dachfirsten und schickte ihre grellen Strahlen die Ernst-Thälmann-Straße hinab. Das Kopfsteinpflaster glänzte im Licht und das schlichte Stahlkreuz, dass auf dem Zweckbau der Kirche stand, wurde von einer Aureole umgeben.
An der Fassade des Gotteshaus war in Mosaiktechnik ein Sinnspruch eingelassen. Herr bleib bei uns, denn es will Abend werden. Merkwürdig, dass in einem sozialistischen Land offensichtlich noch in den frühen 60er Jahren neue Gotteshäuser gebaut worden waren, zumal in so einem Kaff wie Grautow.
Georg näherte sich der Kirche, ging am Dorfanger vorbei, auf dem eine einsame Ente paddelte und ab und an den Kopf unter Wasser streckte, um nach einem Fisch zu schnappen. Georg legte die Stirn in Falten – aßen Enten überhaupt Fisch? Er wusste es nicht, er war ein Großstadtkind.
Die Kirchentür war verrammelt, die Fenster von innen mit Pappe abgedeckt. Nur an einem war ein Spalt zwischen Pappe und Fensterrahmen. Georg drückte die Nase an die Scheibe und linste durchs Glas. Nichts zu erkennen, außer Schatten die sich auf Schatten türmten.
Plötzlich tippte ihm jemand auf die Schulter.
„Verzeihung, darf ich stören?“
Georg drehte sich abrupt um und schaute in das lächelnde Gesicht des älteren Mannes, den er schon bei Edeka gesehen hatte, der ihn dort vor den geifernden Dorfbewohnern in Schutz genommen hatte, jedenfalls ein wenig.
Der Mann streckte ihm die Hand entgegen.
„Friedrich Reißer. Sie müssen nochmals entschuldigen, dass Jennifer Sie so angegangen ist. Sie hat es wirklich nicht leicht.“
Georg schaute ihn kühl an.
„Wer immer diese Dame auch ist, sie hat sich schwer im Ton vergriffen, würde ich sagen.“
Reißer nickte.
„Ja, hat sie. Aber das liegt an der Anspannung, an der Angst. Die Krankheit … erfüllt sie mit Schrecken. Jennifer ist kaum noch sie selbst.“
Georg zuckte die Schultern. Er wollte eigentlich gar nicht über diese impertinente Person reden. Aber er konnte kaum das Gespräch abbrechen, ohne mehr als unhöflich zu sein.
„Wieso? Diese Jennifer ist doch noch jung. Kaum Dreißig, würde ich schätzen.“
Wieder nickte Reißer.
„Aber sie lebt mit ihrem alten Vater zusammen. Dort vorne, in dem alten Haus.“
Er deutete auf ein Fachwerkhaus, das etwas zurückgesetzt von der Straße stand und von wildem Flieder und hohem Farn umgeben war. Es sah fast ein wenig verwunschen aus.
„Sie müssen das verstehen, Herr ...“
„Georg, Sie können mich Georg nennen.“
„Fein, ich bin der Fritz.“
Wieder streckte er ihm die Hand entgegen und dieses Mal nahm sie Georg und schüttelte sie.
„Jennifers Vater war früher im Bergbau tätig“, sagte Reißer. „Wismut AG, in Schneeberg und Oberschlema. Hat Uran abgebaut, der Rüdiger, gut drei Jahrzehnte, später auch Quecksilber. Ich kann Ihnen sagen, dass hat seiner Lunge nicht gut getan. Silikose!“
Georg schaute ihn verständnislos an.
„Silikose?“
Reißer klopfte sich auf den Brustkorb und verzog den Mund.
„Staublunge. Kann kaum noch schnaufen, der Rüdiger. Liegt fast den ganzen Tag im Bett. Jennifer versorgt ihn. Und sie hat Angst um ihn. Ist ihr letzter Angehöriger.“
„Und die Mutter“, fragte Georg.
„Traurige Geschichte“, sagte Reißer. „Hat auch für die Wismut AG gearbeitet, als Sekretärin, ist trotzdem an Lungenkrebs gestorben, zu viel Radon vermutlich.“
Er zögerte kurz und strich sich fahrig seine dünnen, stahlgrauen Haare zurück.
„Geraucht hat sie natürlich auch, Cabinet, manchmal auch Juwel. Die gute Astrid. War eine Dorfschönheit. Jeder war hinter ihr her. Aber Rüdiger hat das Rennen gemacht.“
„Interessant“, sagte Georg zögerlich.
„Ist dann gestorben, nicht lange nach der Wende und ein halbes Jahr nach Jennifers Geburt. Tragische Sache, wie ich schon sagte.“
„Ja“, sagte Georg.
Reißer schaute ihn betrübt an.
„Und was machen Sie so“, fragte Georg.
Das Gesicht des alten Mannes erhellte sich.
„Oh, ich war hier früher mal der Pfarrer. Das ist meine Kirche. Ist sie jedenfalls gewesen, bis vor fünf Jahren. Seitdem bin ich in Rente und schreibe an einem Buch.“
„An einem Buch?“
„Über die Geschichte des Landkreises Grautow.“
Georg schaute ihn verblüfft an.
„Das Kaff hat einen eigenen Kreis?“
Reißer nickte eifrig.
„Ja, sicher, es gehören noch drei Gemeinden dazu. Frießnau, Schwedfurt und Schwallow. War alles Teil meines Sprengels. Hab ihn allen Kirchen gepredigt, immer abwechselnd, an jedem Sonntag in einer anderen. Tempi passati. Jetzt stehn sie alle leer. Keiner will mehr auf dem platten Land eine Gemeinde betreuen. Schade drum.“
Georg nickte höflich.
„Aber jetzt muss ich weiter“, sagte Reißer. „Will noch nach dem Adler schauen.“
Er tippte auf ein Fernglas, das vor seiner Brust baumelte.

Nachdem sich Georg in den Feldern hinter dem Dorf noch ein wenig die Beine vertreten hatte, kehrte er zurück in sein Haus.
Mein Haus, dachte er, wohl kaum. Andererseits – irgendwann gehört das alles dir, mein Sohn. Unwillkürlich musste er grinsen.
Dann ging er in die Küche, öffnete das Fenster und lauschte. Hier war es so still wie in der Großstadt. Die Corona-Krise machte jeden Teil des Landes zu einem Ort ohne viel Geräusche. Aber es war eine Stille, die ihn in der Stadt nervös machte, hier hingegen ließ sie ihn zur Ruhe kommen. Vorerst jedenfalls.
Er ging zum Herd, heizte mit drei Scheiten Holz an und machte sich eine Dosensuppe warm. Chinesischer Hühnereintopf Bihun.
Nachdem er sie in eine angeschlagenen Schüssel gekippt hatte, setzte er sich ins Wohnzimmer ans Fenster und klappte sein Notebook auf.
Lust zu zocken hatte er nicht, er konnte jetzt einfach nur schwer die künstliche Natur in dem Videospiel ertragen. Stattdessen öffnete er Skype und rief seine Mutter an. Tante Gesche erschien innerhalb von Sekunden auf dem Bildschirm.
„Georg! Was für eine Freude“, rief sie.
Er verschluckte sich fast an seiner Bihun-Suppe.
„Sag mal, Tante Gesche, du musst dir wirklich abgewöhnen, einfach so den Account deiner Schwester zu nutzen. Das ist privat.“
„Papperlapapp“, sagte Gesche. „Wir sind doch fast wie Zwillinge. Zwischen uns passt nicht mal ein Blatt Papier.“
Georg seufzte laut auf.
„Und? Wie geht es dir, Tante Gesche?“
Sie steckte sich eine Kim zwischen die Lippen und entzündete sie mit einem eleganten Feuerzeug aus Silber.
„Ach, Georg, wird schon. Mir geht‘s prächtig.“
„Und wo ist Mama?“
Gesche wiegte den Kopf bedächtig hin und her.
„Die ist einkaufen. Schon seit Stunden. Ich glaube, sie versucht mich zu meiden. Warum auch immer.“
Ihre Mundwinkel zuckten melancholisch. Georg befürchtete beinahe, dass sie im nächsten Moment in Tränen ausbrechen könnte. Tante Gesche hatte eine dramatische Ader und war gut in solchen Dingen.
Schnell versuchte Georg sie abzulenken.
„Und was machst du so, den lieben langen Tag, Tante Gesche?“
Sie zog die Augenbrauen nach oben.
„Was ich so mache? Ich mache mir Gedanken ...“
„Und was für welche?“
Sie schob sich eine glänzend schwarze Strähne aus der Stirn und zog an ihrer Damen-Zigarette.
„Das willst du wirklich wissen?“
„Sonst würde ich ja nicht fragen.“
„Also gut“, sagte sie. „Dann will ich dir meine Gedanken nicht vorenthalten.“
Gesche machte eine bedeutsame Pause.
„Hast du schon von der Heuschreckenplage in Afrika gehört?“
„Ja, hab ich. Stört es dich, wenn ich esse?“
Er ahnte schon, was kommen würde.
„Nein, gar nicht. Du musst ja bei Kräften bleiben, gerade in Zeiten wie diesen.“
Sie drückte ihre halb aufgerauchte Kim aus.
„Diese Heuschreckenplage ist jedenfalls ein Zeichen, davon bin ich fest überzeugt. Und jetzt diese grässliche Krankheit! Die Verrohung der Sitten, die Erderwärmung!“
„Was hat denn jetzt die Erderwärmung damit zu tun?“
„Kind, ich glaube nicht, dass du das wirklich verstehen kannst, aber das alles ist ein Zeichen Gottes. Es geht auf das Ende zu!“
Georg löffelte weiter seine Bihun-Suppe.
„Ach, Tante Gesche, wieso sollte Gott denn die Heizung aufdrehen?“
„Weil wir in Sünde leben!“
Ihr Gesichtsausdruck duldete keine Widerrede.
„Wir haben uns von Gott abgewandt. Das ist nun seine Art, wieder auf sich aufmerksam zu machen. Es werden bald die Posaunen im Himmel erschallen!“
Georg legte den Löffel beiseite und musterte seine Tante skeptisch.
„Das würde mich wundern.“
„Denk an meine Worte, Georg. Denk an meine Worte, die letzten Tage sind angebrochen!“

Später zog er sich in eine dunkle Ecke des verwilderten Gartens zurück. Die Sonne war schon hinter dem Horizont verschwunden, aber noch immer strahlten die Schichten des Himmels in glühenden Farbtönen von Orange über Rot zu Violett. Als wäre am anderen Ende der Welt ein Vulkan ausgebrochen und seine Asche würden in den oberen Schichten der Atmosphäre treiben, dachte Georg. Wie vor 200 Jahren, als Mary Shelley über das menschliche Monster schrieb, in einem Jahr ohne Sommer, an einem See in der Schweiz, als der Vulkan Tambora im fernen Java ausgebrochen war und das abendländische Firmament eingefärbt hatte.
Georg glaubte, jetzt unter einem ähnlichen Himmel zu sitzen, auch wenn er ihn nie würde beschreiben können wie ihn Mary Shelley beschrieben hatte, in ihrem Roman über den neuen Prometheus, dessen Name Frankenstein war.
Langsam dunkelte der Himmel ein und Georg nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Er hatte in einer Kammer den Vorrat Onkel Karls entdeckt und sich zwei Flaschen Rotwein von der Krim gegriffen, die schwer nach Kopfschmerzen schmeckten.
Er trank, bis der Himmel schwarz geworden war, er trank, bis er nicht mehr konnte.

Am nächsten Morgen wachte er verkatert auf und griff als Erstes nach seinem Handy, dessen Diode eine neue Nachricht signalisierte. Es war eine SMS von Jonas.
„Hi Georg, ich kann morgen leider doch noch nicht kommen. Ich bin da an was dran, was mich endlich sanieren könnte. Kohle ohne Ende. Aber ich werd dich später besuchen, in deinem Provinzkaff. Und dann bring ich Champagner mit! Bis dahin: halt die Ohren steif, altes Kaninchen. LG Jonas ...“
Georg schälte sich aus den Laken und ging in die Küche. Da es im Haus kein Bad gab, wusch er sich an der Spüle. Dann machte er sich einen Kaffee mit der DDR-Kaffeemaschine, die brodelte wie ein Geysir.
Er setzte sich mit seinem E-Bookreader in den Garten und las ein wenig in einem Buch von H.P. Lovecraft, aber sein Kopf war noch von dem krim‘schen Rotwein so vernebelt, dass er es bald aufgab. Stattdessen schloss er die Augen und ließ sich die Morgensonne ins Gesicht scheinen.
Sein Kopf war völlig leer. Kurz vorm Satori, dachte er. Man brauch gar nicht zu meditieren, man muss nur genug saufen.
Ein Insekt summte an seinem Ohr vorbei, er öffnete die Augenlider zu Schlitzen. Das war eine Hummel, die gemächlich durch die Luft tuckerte, auf dem Weg zu besseren Blumen.
Georg stand auf und schaute über die Felder. Hier war wirklich nichts heile geblieben, was man Natur nennen konnte. Felder um Felder, die meisten brach liegend. In der Ferne ein paar Wellblech-Baracken, vermutlich alte Silos für Getreide. Strommasten und Windräder. Ab und an ein Baum an buckeligen Landstraßen. Nur der Himmel wirkte noch echt. Unverdorben, ungeschändet.
Was machte er eigentlich hier? Georg spuckte über den Zaun. Wieso bin ich in die Provinz geflohen? Hier werde ich an Langeweile sterben. Wenn mich nicht diese Jennifer mit der Mistgabel aufspießt.


6. Kapitel

Die Wochen zogen gleichförmig ins Land. Der Rest des März erst, dann der ganze April.
Jonas schickte alle paar Tage eine SMS, in der stand, dass er später kommen würde. Mit einem Haufen Kohle.
Georg spürte, wie mehr und mehr das Leben aus ihm wich. Er fühlte sich nicht krank oder schwach, aber sein Gehirn schaltete jeden Tag einen weiteren Gang runter, bis ihm selbst komplexere Videospiele zu viel wurden. Er hatte tagelang in Anno 1404 an einer mittelalterlichen Stadt gebaut, Warenkreisläufe optimiert, sinnlose Aufträge für den Kaiser erfüllt, doch irgendwann war sein Geist so stumpf geworden, dass er nur noch mordend durch Skyrim zog und Banditen mit der mächtigen Barbaren-Axt köpfte.
Immerhin ließ er die Finger vom Krim-Wein, so dass er die Tage relativ frisch damit verbrachte, ausgedehnte Wanderungen in der Umgebung zu machen. Er schaute sich die Sehenswürdigkeiten der Käffer an. In Schwallow gab es ein Heimatmuseum in einer Scheune, in dem eine kaputte Kutsche aus dem 18. Jahrhundert präsentiert wurde und ein Butterfass unbekannter Herkunft. Dazu einige Stiche von Landschafts-Szenen, die vage etwas mit den Dörfern des Kreises zu haben sollten.
Da war der alte Wenden-Friedhof bei Schwedfurt schon interessanter. Es standen dort zwar nur drei Grabsteine und die waren auch noch so verwittert, dass man die Inschriften nicht entziffern konnte, aber immerhin: ein Wenden-Friedhof. Sogar mit einer Informationstafel am Eingang. Aber auch die konnte Georg nicht lesen, weil die Dorfjugend sie mit ihren Tags zugesprüht hatte.
Was gab es noch zu tun?


[Abgebrochen]


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Sonntag, 29. März 2020


TOTENSOMMER [7]

+++ Live-Kolportage-Roman aus dem Jahr 2020 +++


 Die letzten Kilometer zwischen Bahnstation und Grautow musste er laufen, da der Bus schon in normalen Zeiten nur zwei Mal am Tag fuhr. Mittlerweile war die Linie eingestellt.
Georg stapfte verdrossen die Landstraße entlang. Nur alle paar Minuten kam ein Auto vorbei gefahren und die Fahrer schauten ihn grimmig an, als würde er durch eine Sperrzone wandern. Vielleicht war dies ja schon eine Sperrzone, dachte Georg. Ich hab vorher gar nicht im Netz nachgeschaut, ob dieser Teil Brandenburgs von der Krankheit besonders schwer betroffen ist. Vielleicht ist schon das Militär unterwegs, um solche Leute wie mich zu fangen, wegzusperren? Doch davon hatte er nichts gelesen. Militär wurde noch nicht eingesetzt. Aber konnte sich das nicht jeden Moment ändern?
Er schaute sich um, lauschte in die stille Landschaft hinein. Nur der Wind war in den Zweigen der Alleebäume zu hören, keine landwirtschaftlichen Maschinen, kein Mensch, kein Tier, nicht einmal das Singen einer Amsel, oder der Schrei eines Bussards.
Plötzlich wurde ihm der Ernst der Lage bewusst. Obwohl in Berlin viel mehr Zeichen des Ausnahmezustands erkennbar gewesen waren, wurde ihm erst hier in der menschenleeren Landschaft deutlich, was ihnen allen bevorstand: 60 bis 70 Prozent Durchseuchung, Todesrate von mindestens 4 oder 5 Prozent, wenn das Gesundheitssystem zusammenbrach. Das alles war leicht auszurechnen, dafür brauchte man kein Mathematikstudium. Die Antwort, um die sich alle zu drücken schienen, lautete: 2 Millionen Tote allein in Deutschland, wenn nicht mehr. Die Apokalypse.
Konnte diese Zahl denn stimmen? Georg wusste es nicht. Das durfte doch nicht wahr sein! Er rechnete es immer wieder durch, während er die Landstraße entlang ging. Selbst wenn die Letalität bei nur einem Prozent blieb, und das kam ihm sehr optimistisch vor, würde das eine halbe Million Tote bedeuten. Berge von Leichen. Die Friedhöfe würden überquellen. Die Welt würde niemals wieder so sein wie zuvor.
Georg blickte zum Himmel, der überirdisch blau war und völlig ohne Kondensstreifen. Keine einzige Wolke am Himmel und die Sonne strahlte ihr Licht auf die Erde, als würde sie das Land reinigen wollen.
Nur nicht die Nerven verlieren, murmelte er, alles wird gut. Aber er glaubte nicht daran.

Kurz vor Grautow kam er an einem Edeka vorbei, in den er so vorsichtig hinein ging, als würden Scharfschützengewehre auf ihn gerichtet sein.
Die spärliche Kundschaft blickte sich gegenseitig misstrauisch an und wahrte mehr Abstand, als nötig. Klopapier war selbstverständlich ausverkauft, Nudeln, Mehl und Tiefkühlwaren auch. Selbst die Regale mit Konserven waren größtenteils leer. Georg ergatterte eine Dose mit Roter Beete, zwei mit Kidneybohnen und ein Glas Sauerkraut. Ein abgepacktes Graubrot war noch zu kriegen und utlra-hocherhitzte Käseecken. Am Schnapsregal nahm er sich zwei Flaschen Doppelkorn – wer wusste schon, was man noch desinfizieren musste – und ging zur Kasse, vor der Abstandhalter auf den Boden geklebt waren.
Eine junge Frau in der Schlange drehte sich zu ihm um und schaute ihn misstrauisch an.
„Sie sind aber nich von hier, wa?“
Georg zuckte die Schultern und schwieg.
„Sind Sie nun von hier, oder nich?“
Man sah ihr an, dass sie ihm am liebsten auf den Leib gerückt wäre, um bedrohlicher zu erscheinen, sich aber nicht traute.
„Ich hab ein Haus hier, in Grautow“, sagte Georg leise.
„Kann ick mir nich vorstellen“, sagte die junge Frau und verzog ihre rosa geschminkten Lippen. „Ick wohn hier schon seit meiner Geburt, und ick hab sie noch nie gesehen.“
Ein älterer Mann, der gerade seine Einkäufe bezahlte, mischte sich ein.
„Nu lass ihn schon in Ruhe, Jennifer, der hat dir doch nix getan.“
Jennifer zog scharf die Augenbrauen hoch.
„Weißte, Karl, das überlass mal besser mir, wa? Der Typ gehört hier nich her. Wer weiß, was der alles einschleppt?“
Dann wandte sie sich wieder an Georg.
„Wir mögen keine Fremden hier, nur damit Sie‘s wissen. Is das klar? Von wegen Haus.“
Die Kassiererin blickte nun auch von ihrem Scanner auf.
„Ick hab Sie hier auch noch nie gesehen. Kann mir nich vorstellen, wo Sie ein Haus haben wollen.“
Georg zog defensiv die Schultern hoch.
„Mein Onkel hat hier ein Wochenendhaus, ich darf dort wohnen“.
Er nannte den Namen seines Onkels und der ältere Mann nickte.
„An den kann ich mich erinnern. Ein komischer Kauz, war schon seit Jahren nicht mehr hier. Dem gehört das rote Haus am Dorfrand.“
Georg nickte eifrig und die Kassiererin wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, selbst die junge Frau war still, schaute ihn aber immer noch bitterböse an.
„Wär ja wohl noch schöner“, murmelte sie.


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Freitag, 27. März 2020


TOTENSOMMER [6]

+++ Live-Kolportage-Roman aus dem Jahr 2020 +++


4. Kapitel


Am Bahnhof Straußberg fuhr sogar noch die Regionalbahn, war aber genauso leer wie die S-Bahn zuvor. Nur ein alter Mann saß in dem Waggon, in den Georg einstieg. Der Alte wischte hektisch auf seinem Smartphone herum, als Georg an ihm vorbeiging. Er hatte gerade eine Seite mit nackten Frauen angeschaut. Eher harmlose Sachen, trotzdem war Georg peinlich berührt. Deswegen nahm er die Treppe und setzte sich ins Oberdeck des doppelgeschossigen Abteils.
Auf den Feldwegen am Rand der Bahntrasse waren keine Menschen zu sehen, doch das war vermutlich normal. In Brandenburg war immer Ausnahmezustand. Aber auch Autos waren kaum unterwegs. Die Welt würde wieder so werden wie früher, wie vor seiner Geburt. Wenig Kraftfahrzeuge, viele Spaziergänger, lärmende Kinder in den Höfen, kaum Hochbetagte, Millionen von Grabsteinen auf den Friedhöfen. Und Suppenküchen, Myriaden von Suppenküchen, die nötig wären, nachdem die Weltwirtschaft zusammengebrochen sein würde.

Georg schaltete sein Smartphone an und scrollte durch die Nachrichten. Noch war in Deutschland nicht viel passiert. Aber die Warnungen prasselten über alle Kanäle auf die Leser und Zuschauer. Risikogruppe – auch du kannst dazu gehören. Sieh dich vor, der Tod kommt schleichend. Und der soziale Tod auch, dachte Georg. Denn was sollte ihm dieses weltliche Virus schon anhaben? Er war jung, er war unbesiegbar, auf seiner Visitenkarte stand Connor MacLeod.
Doch seine Mutter war in Gefahr, das war nicht zu leugnen. Und Tante Gesche auch. Sollte er die beiden anrufen und sie bitten, auch nach Grautow zu kommen? Vielleicht würden sie sich mit Jonas gut verstehen und er hätte seine Ruhe. Schön wär‘s, dachte Georg, kann ich mir abschminken. Er liebte seine Mutter – und auch Tante Gesche auf eine spezielle, spröde Art – daran war kein Zweifel, aber er konnte sie kaum länger als ein, zwei Tage um sich haben, ohne in Kindheitsmuster und Aggression zu verfallen. Besuch und Fisch … drei Tage frisch. Wenn man es genau nahm, wurden am zweiten Tag die Augen schon glasig.

Er öffnete Skype und pingte seine Mutter an. Wenigstens ein kurzes Gespräch konnte nicht schaden.
Nach dem zweiten Ton wurde ihre Kamera eingeschaltet, aber nicht sie hockte vor dem Bildschirm, sondern Tante Gesche.
„Hallo, Georg! Du rufst schon wieder an?“
Sie hatte eine Zigarette zwischen den Lippen und strich sich fahrig das schwarz gefärbte Haar zurück. Georg meinte zu hören, wie es knisterte, weil es so trocken war.
„Äh, Tante Gesche, was machst du denn da? Das ist Mamas Account.“
Seine Tante winkte ab.
„Wird sie schon nicht stören. Außerdem kann sie gerade nicht. Sie sitzt auf dem Thron.“
Georg runzelte die Stirn.
„Versteh ich nicht. Auf welchem Thron denn?“
Gesche lachte laut auf.
„Na, auf dem Klo, dem Abort … im stillen Kämmerlein. Und du weißt ja, wie lange sie immer braucht. Sie sollte weniger Weißbrot essen. Und die Schokolade hilft auch nicht weiter. Das macht den Stuhl hart wie einen Tonklumpen.“
„Tante Gesche, bitte!“ Georg verzog das Gesicht. „So plastisch musst du es mir nicht beschreiben!“
„Ist ja schon gut, Georg. Ich wusste gar nicht, dass du so zimperlich bist. Aber hör mal, ich hab da ein Anliegen, zu dem ich dich befragen wollte.“
Er wandte sich ein wenig ab und verdrehte die Augen. Er ahnte schon, was kommen würde.
„Du weißt ja, dass der Herr über uns wacht, oder?“
Tief durchatmen.
Was für seine Mutter Die hohle Erde war, war für ihre Schwester Unser lieber Jesus Christus. Eine Glaubensfrage.
„Hast du dir schon mal darüber Gedanken gemacht, dass wir justamente den Beginn der Endzeit erleben?“
„Das glaube ich kaum, Tante Gesche.“
Sie lächelte schmal und nahm noch einen tiefen Zug von ihrer Kim.
„Da könntest du recht haben, denn wir leben vermutlich nicht erst am Beginn der Endzeit, sondern mittendrin. Das Wirken Satans zeigt sich an allen Ecken. Ich spreche nicht nur von dieser aktuellen Heimsuchung, dieser schrecklichen Seuche, sondern auch von der Heuschreckenplage, die neuerlich Afrika überzieht. Dann die vielen Brände und Erdbeben, die Überflutungen. Man könnte meinen, die vier Boten reiten durch unsere Straßen. Und wenn dieser amerikanische Präsident nicht der leibhaftige Anti-Christ ist, dann weiß ich es auch nicht.“
Georg wollte sie gerade beschwichtigen, als die Verbindung schlechter wurde. Tante Gesches letzte Worte hallten völlig verzerrt durch den Äther, ihr Abbild flimmerte, dann brach die Verbindung zusammen. Schlechte Netzabdeckung in der Provinz konnte auch etwas Gutes haben.


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Donnerstag, 26. März 2020


TOTENSOMMER [5]

+++ Live-Kolportage-Roman aus dem Jahr 2020 +++


Also gut, dachte Georg, sehen wir das alles als ein Abenteuer. Ich war zwar noch nie der totale Abenteurer, aber das kann ich ja noch lernen. Was gibt es zu tun, was zu planen?

Georg fühlte sich ein bisschen hilflos und auch matt, als würde er im Begriff sein, krank zu werden. Wann sollte er fahren, was sollte er mitnehmen? Um heute noch loszufahren, war es jedenfalls zu spät, schon weit nach Mittag. Und er hatte kein Auto, würde also mit Bus und Bahn reisen müssen. Ob die S-Bahn noch fuhr? Die Regionalbahn 26 von Straußberg aus?

Er holte seinen großen Rucksack, der seit Jahren auf dem Schrank verstaubte, und packte sein Notebook rein, seinen Kindle und seine Nintendo-DS. Dann noch ein paar Kleider und natürlich die zwei Rollen von dem teuren Klopapier. Wer konnte schon wissen, wann man wieder etwas auftreiben würde.
Er löschte das Licht am Schreibtisch, zog alle Stecker in der Wohnung, überprüfte den Gasherd, verließ die Wohnung und schloss zweimal um. Überprüfte dann auch noch, ob die Tür wirklich abgeschlossen war, spuckte dreimal symbolisch auf den Treppenabsatz und machte sich auf den Weg.
Kurz vorm S-Bahnhof fiel ihm ein, dass er noch Geld brauchte, also stapfte er grimmig zurück zur Commerzbank an der Ecke und ließ sich an der Maschine einen Kontoauszug ausdrucken: 58 Euro im Haben. Scheiße.
Brennen sollte das Jobcenter! Und alle Verantwortlichen an dieser Misere, an dieser Knechtschaft, die sich ALG II nannte, die sollten an Covid-19 verrecken. Und zwar langsam.

Nachdem Georg in seiner Jugend von jeder Schule runter geflogen war, hatte er sich, auf den sanften aber bestimmten Rat seiner Mutter hin, in eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann gefügt. Immerhin nicht bei Hertie, sondern bei Karstadt. Seine Spezialisierung waren Bücher und Medien und so war er in der kleinen Buchabteilung des Karstadts am Hermannplatz gelandet. Sein Lebensweg schien vorgezeichnet aber auch nicht der schlechteste zu sein. Dann war das Sortiment der Buchabteilung zusammen gestrichen worden, bis er, ein Azubi und der Abteilungsleiter nur noch Arzt-Romane, Historien-Schinken und Rätsel-Hefte verkauften. Die Umsätze brachen mehr und mehr ein. Amazon stieg zum globalen Player auf, es sah böse aus. Dann kam eine Angstblüte und Soduku-Hefte und Mandala-Malbücher retteten ein letztes Mal die Jahresbilanz. Was folgte, war abzusehen und unvermeidbar: die Abteilung wurde weg rationalisiert, der Abteilungsleiter wechselte zu den CDs und DVDs und Georg wurde betriebsbedingt entlassen. Ein Jahr Arbeitslosengeld I, anschließend das Elend. Immerhin durfte er in seiner kleinen Wohnung bleiben, die Miete war angemessen, wie ihm die Sachbearbeiterin zugestanden hatte.

Er steckte die 50 Euro ein, mehr hatte der Automat nicht hergeben wollen, und ging zum S-Bahnhof. Ein Mercedes AMG rollte langsam an ihm vorbei und aus dem runter gekurbelten Fenster tönte Dance Monkey in voller Lautstärke. You, you make me, make me, make me wanna cry
Er ging die Treppe zum Bahnsteig hoch und schaute sich um. Niemand da. Auch als die S-Bahn einfuhr und er sich in einen Waggon setzte: kein Mensch zu sehen. Die Sonne schien durch die Fenster, in die Graffiti gekratz waren, die Tags leuchteten auf den wild gemusterten Sitzbezügen und die Stimme eines Zombies schnarrte Zurückbleiben!
Georg ließ sich gegen die Trennwand sinken und schloss die Augen. Schatten und Licht morsten einen schnellen Takt durch seine Lider hindurch und die quäkende Stimme von Dance Monkey wollte ihm nicht mehr aus dem Sinn gehen … You, you make me, make me, make me wanna cry


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Mittwoch, 25. März 2020


TOTENSOMMER [4]

+++ Live-Kolportage-Roman aus dem Jahr 2020 +++


3. Kapitel

Am nächsten Morgen fühlte Georg sich zugleich eingeschlossen und ausgeschlossen. Eingeschlossen in seinem abgezirkelten Leben, ausgeschlossen von der Welt dort draußen vor dem Fenster.
Er sprang aus dem Bett, obwohl noch Fetzen von Alpträumen in den tiefsten Schichten seines Bewusstseins umher irrten, Männer in Schutzanzügen mit rot unterlaufenen Augen, Kinder mit vertrockneten Händen und ergrautem Haar, dass wie Spinnweben um ihre kleinen, ausgemergelten Gesichter wehte. Enge Gassen mit braunen Ratten in den dunklen Winkeln, Gewitterlicht, dass sich weiter oben auf nach außen geöffneten Fensterflügeln spiegelte. Der dröhnende Ton einer Glocke. Pest.

Schnell trank er einen kalten Schluck Tee von gestern und streifte sich seine Kleider über. Als er das Fenster zum Lüften öffnete, merkte er, wie kalt es draußen noch war. Kalt und sonnig. Ein klares, schneidendes Licht. Die Luft roch frisch, gar nicht nach Großstadt, nach Benzin, Gummiabrieb und Abgasen.
Fast wie auf dem Lande. Der städtische Betrieb, das ewige Machen und Tun war offenbar schon zurückgefahren worden – der Transmissionsriemen der Maschine Berlin stockte.
Georg zog seine warme Jacke an und flüchtete auf die Straße. Dann weiter zu den Kleingärten am Rande des Viertels – vielleicht konnte er dort etwas Ruhe finden. Aber es war mehr los, als sonst an einem Werktag. Jogger rannten an ihm vorbei, fast alle mit gebührendem Abstand. Kinder fuhren auf Rollern die Kieswege entlang und husteten. Rentner mit Mundschutz wichen ängstlich vor ihm zurück. Nur eine Nebelkrähe kam ihm nahe und schaute ihn neugierig an, bevor sie wieder auf eine Hecke hüpfte.
Georg zog sein Handy aus der Tasche und checkte die Nachrichten: Die Bundeskanzlerin hatte gestern Abend ein Kontaktverbot angeordnet, jeder Bürger und jede Bürgerin war dazu verpflichtet, mindestens 1,5 Meter Abstand zu den anderen Bürgern und Bürgerinnen zu halten.
Jetzt fühlte sich Georg noch stärker ausgeschlossen und eingeschlossen. Er stand unter einem weiten Himmel der blau wie auf einer Postkarte war. Überirdisches Ultramarin, fehlten nur noch die Segel von Booten am Horizont. Die Luft strömte in seine Lungen, aber trotzdem umfing ihn eine Beklemmung. Hier konnte er nicht bleiben.

Als er wieder zu Hause war, musste er erst einmal ausruhen, sich befreien von dieser merkwürdigen Klaustrophobie. Vielleicht sollte er anfangen zu meditieren. Er hatte gestern bei Facebook gesehen, dass Dutzende von Online-Kursen angeboten wurden. Sogar gratis – sein Seelenheil würde ihn keinen Cent kosten. Aber wie sollte er meditieren, wenn er lieber wegrennen wollte?
Onkel Karls Haus! Es gab keine andere Möglichkeit. Aber würde er dort nicht wahnsinnig werden vor Einsamkeit? Andererseits, hier war er auch allein.
Er könnte Jonas anrufen. Jonas, sein bester Freund, bei dem er sich den ganzen Winter nicht gemeldet hatte, weil der Winter eben der Winter war – keine gute Zeit für soziale Kontakte. Es war zu dunkel und bedrückend im Winter, zu kalt und gedämmt. Jetzt bereute er, sich nicht bei Jonas gemeldet zu haben … und bei vielen anderen.
Er wählte die Nummer und hörte dem Freizeichen zu. Keine Reaktion. Verärgert legte er das Handy beiseite und fuhr das Notebook hoch, rief ein Nachrichtenportal auf. Schon 25.000 Infizierte. Schrecklich.
Georg zuckte zusammen, als sein Handy klingelte. Jonas! Er ging ran.
Du hattest mich angerufen?“
Georg nickte, bis er sich klar darüber wurde, dass Jonas ihn natürlich nicht sehen konnte. War ja kein Skype-Call.
Ja, hab ich. Entschuldige, dass ich mich nicht gemeldet habe. Kennst mich ja … Winter und so ...“
Er konnte Jonas unterdrückt lachen hören.
Mach dir mal keine Sorgen, wir sind im Winter doch alle Trauerklöße. Also, weshalb rufst du mich an?“
„Hab ich dir schon mal von meinem Ferienhaus erzählt?“
„Du hast ein Ferienhaus?“
„Na ja, es gehört eigentlich meinem Onkel, aber der lebt in Spanien und hat mir den Schlüssel da gelassen.“
„Spanien ist nicht gut.“ Jonas Stimme klang jetzt gepresst. „Ich habe Bekannte in Valencia. Spanien ist wirklich nicht gut, bald sieht es dort aus wie in Italien. Das sag ich dir.“
Georg räusperte sich zustimmend.
„Und hier vermutlich auch. Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich muss unbedingt raus aus der Stadt, sonst ersticke ich noch.“
„Kann ich verstehen, geht mir nicht anders“
Georg zögerte kurz. War das die richtige Idee? Aber warum denn nicht?
„Hast du Lust, mit mir eine Weile aufs Land zu ziehen? Paar Wochen in dem Haus in Brandenburg. Bis der ganze Spuk vorbei ist ...“
Jonas antwortete, ohne zu zögern.
„Klar! Danke, dass du an mich gedacht hast. Das wird toll. Wir beide, wie in alten Zeiten. Wir werden die Welt aus den Angeln heben … oder zumindest die Angeln ein bisschen ölen.“
„Fantastisch“, sagte Georg. „Am liebsten würde ich schon heute hinfahren.“
„Dann mach das doch. Ich kann aber erst übermorgen los, muss vorher noch ein paar Sachen erledigen. Schick mir einfach die Adresse per SMS. Und stell schon mal die Heizung an. In den nächsten Tagen soll es recht kalt bleiben.“
Georg musste an die antiken Kachelöfen denken.
„Mach ich, Jonas. Wir sehen uns dann in zwei Tagen.“



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